Tatort

Wichtigster Nebendarsteller erscheint nicht im Bild

Greifswald (SPA): Greifswald, Sonntagabend um 20:15 Uhr, eine beschauliche Wohnung inmitten der Altstadt. Aus dem Fernseher ertönt jene Erkennungsmelodie, die Woche für Woche Millionen Fans zur gleichen Zeit vor die Glotze lockt. Der „Tatort“ ist dieses Mal zu Gast in Niedersachsen. Terroristen unter dem Namen „Brigade Braunschweig“ kündigen mit markigen Worten einen verheerenden Anschlag an. Nach nicht einmal fünf Minuten fließt das erste Blut. Sehr viel Blut.

In der Greifswalder Altbauwohnung sitzt André H. in seinem gestreiften Stammsessel, den er nicht aufgegeben hat. Obwohl sich Gäste auf anderen unbequemeren Sitzelementen, auf der hüfthohen Kommode, dem kleinen Perserteppich und selbst unter dem niedrigen Couchbeistelltisch platziert haben. Viele sind gekommen und somit seiner Einladung gefolgt. Freunde, Schwiegereltern, Nachbarn, Fremde. Auch seine Katze ist da.
Im Schoß von H. liegt ein Hammer, in der Hand hält er aufgeregt eine Stoppuhr. Seine nervösen Finger klicken aufgeregt über die Knöpfe, um das handliche Gerät in Fahrt zu bringen.

Im Fernsehen fordert derweil der Kommissar die Spurensicherung, in der Wohnung halten 29 Lungen (mit Katze) die Luft an. Jetzt muss er doch … aber plötzlich sehen alle nur noch einen weißgekleideten Mann, der den Tatort an Wotan Wilke Möhring übergibt.
„Geschnitten!“, flüstert André H., hebt sich aus dem Sessel und verschwindet für acht Minuten im Bad. Seine Schwiegermutter greift sich die Fernbedienung und sagt: „Dann brauchen wir uns DAS auch nicht zu Ende angucken!“. Wotan Wilke Möhring ist weg, es erscheint ein Typ in Lederhose, der auf einer großen Bühne „Hulapalu“ singt. Auf Deutsch. 24 Menschen und eine Katze verlassen den Raum. Ich, der Redakteur, nehme mir ein wenig von dem üppig bereitgestellten Knabberzeug.

Die Tür zum Badezimmer öffnet sich. André H. erscheint, trocknet sich mit einem Baumwolltaschentuch die letzten sechzehn Tränen aus den Augen und wringt dann das Tuch über dem Fiskus in der rechten Zimmerecke aus. „Die braucht auch mal etwas Salziges.“, meint er mit trauriger Stimme.
Dann, wieder im gestreiften Sessel, erzählt er: „Eindeutig habe ich das Casting gewonnen. Tatortreiniger im ,Tatort‘. Zwei Tage Dreharbeiten, stundenlang bin ich auf meinen Knien auf dem blanken Beton dieser Halle und in diesem Lüftungsschacht herumgekrochen.“ Seine Stimme hebt sich: „Alle diese weißen Schleifspuren, die wir vorhin gesehen haben, sind von mir. Nur mich haben sie rausgeschnitten.“ André H. greift zum Hammer, den er vorhin auf der Tischplatte abgelegt hat. „Hier! …“, wedelt er das Handwerksgerät durch die Luft, „… das Tatwerkzeug habe ich mir als Souvenir mitgenommen.“ Und mit einem müden Grinsen fügt er hinzu: „Der fehlt jetzt in der Asservatenkammer.“

172 Euro pro Sekunde im Bild habe man ihm vertraglich versprochen. Daraus wird jetzt nichts. Zum Abschied zeigt er noch die Stoppuhr in die Runde. Die habe er sich noch am Vormittag in Swinemünde besorgt. Schweizer Fabrikat, für viel Geld. Ich schaue drauf: „Rollex.“ Naja.

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